Das Osiris-Grab von Gizeh
Forschungsbericht von Gregor Spörri
Unweit der großen Pyramiden befindet sich das sog. Osiris-Grab (auch Osiris-Schacht).
Die Existenz der mysteriösen unterirdischen Grabanlage wurde von der Fachwelt lange als Hirngespinst des griechischen Historikers, Geographen und Völkerkundlers Herodot von Halikarnass abgetan. Um 450 vor Chr. bereiste dieser Herodot Ägypten. In seinem 2. Historienbuch berichtet er von einer Gruft unter dem Felshügel, auf dem die Großen Pyramiden stehen. Und in dieser Gruft, so notierte Herodot, umflute ein künstlicher See eine Insel, worauf Pharao Cheops bestattet worden sei.
In den Jahren 1933/34 wurde die Anlage vom Ägyptologen Selim Hassan bei Grabungen tatsächlich wiederentdeckt. Ab 2008 wurde sie auch vom Chef-Ägyptologen Zahi Hawass eingehender erforscht.
Abstieg in die Unterwelt
Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, die drei übereinander liegenden Kammern, von denen es nur wenige Aufnahmen gibt, selber zu erkunden. Der Eingang liegt versteckt unter dem Aufgang, der von der Sphinx hinauf zur Pyramide des Chephren führt.
Ebene / Kammer 1
Über eine wenig vertrauenserweckende Eisenleiter erreiche ich die erste Kammer. Sie liegt in sechs Metern Tiefe, ist 4 x 10 Meter groß und leer. Von hier aus führt ein weiterer senkrechter Schacht schwindelerregend weit in die Tiefe. Von den zwei Leitern ist eine komplett durchgerostet und die andere befindet sich in einem bedenklichen Zustand.
Ebene / Kammer 2
Die zweite Kammer liegt in 18 Metern Tiefe. Sie ist 5 x 8 Meter groß und besitzt acht Nischen. Anhand von Tonscherben und Knochen-Analysen wurde sie auf die Spätzeit des alten Ägyptens um 500 vor Chr. datiert.
In zwei Nischen stehen massive Granitsarkophage. Im Sarg in Nische 2 entdecke ich menschliche Überreste aus Knochen und Zähnen. Zudem blockiert er einen 80 x 100 Zentimeter großen Gang, der nach Osten Richtung Taltempel und Sphinx abgeht. Jemand hat den Sarg mit derart großer Wucht in den Gang geschoben, dass er dabei in Brüche ging. Der Sarg in Nische 7 ist leer. Grundsätzlich haben nur autorisierte Personen Zutritt zu dieser Anlage. Warum also wurde der Gang blockiert? Was gibt es im Osiris-Grab von Gizeh, das man nicht sehen und/oder erforschen darf?
Fragwürdige Datierung
Um 500 vor Chr. wurden Gräber in Ägypten üblicherweise mit Kartuschen, farbigen Reliefs und Inschriften reichhaltig ausgeschmückt. Im Osiris-Grab gibt es nichts von alledem. Die kahlen Decken, Wände, Böden und Sarkophage reihen sich jedoch ein in eine Serie von Megalith-Bauten, die womöglich aus einer deutlich älteren Epoche stammen: Die Gizeh-Pyramiden und der Sphinx-Tempel, das Osireion in Abydos, das Serapeum in Sakkara …
Derartige Gräber wurden oft mehrfach genutzt, sprich, es kam zu Nachbestattungen. Nachdem sie geplündert worden waren, zogen dann die ’neuen Mieter‘ ein. Gut möglich, dass die analysierte Keramik und die Knochen von solchen ‚Nachmietern‘ stammen, was zu einer falschen Datierung führte.
Ebene / Kammer 3 – Das Osiris-Grab
In der Nische 4 der zweiten Kammer führt ein knapp 2 x 2 Meter großer Schacht noch weiter hinab in den Untergrund. Der Abstieg ist wiederum ein Abenteuer. Schließlich erreiche ich das sogenannte Osiris-Grab in 30 Metern Tiefe.
Das einzige Licht dort unten kommt von einem alten Bau-Scheinwerfer und meiner Kopflampe. Ich versuche mich zu orientieren: In der Mitte der weiträumigen Kammer befindet sich – genau wie von Herodot beschrieben – ein See. Mittendrin eine rechteckige Plattform. An den vier Ecken der Plattform sowie an der Decke, gibt es Überreste quadratischer Säulen. Druckveränderungen, tektonische Verschiebungen oder ein Erdbeben, haben die Säulen vor langer Zeit zerstört.
In der Plattform ist eine rechteckige Vertiefung eingelassen. Darin eingebettet liegt ein mächtiger Granitsarkophag mit abgerundetem Kopfteil. Ich schätze seine Größe und errechne daraus ein Gewicht von 10 bis 15 Tonnen. Beim Betrachten des monströsen Behälters stellt sich mir automatisch die Frage: Wie haben die das Ding hier hinunter gebracht?
Das Wasser in der Kammer steht im Moment deutlich höher als zu Herodots Zeiten. Die Insel und der Sarkophag, in dem Cheops angeblich geruht haben soll, sind überflutet. Der Sargdeckel wurde quer über zwei Holzbalken gelegt. Der Kopfteil des Deckels ragt ein Stück weit aus dem Wasser.
Analysen weiterer Funde zufolge, ist die dritte Ebene mit rund 5000 Jahren gut doppelt so alt wie die zweite Ebene. Das ergibt keinen Sinn, denn man gräbt ja von oben nach unten und nicht umgekehrt!
Geheimnisvolle Gänge, Gewölbe und Stollen
Über einen improvisierten Holzsteg erreiche ich die Ostwand der Grabkammer. Von dort führt ein enger Gang noch tiefer in die ägyptische Unterwelt. Ich zwänge mich hinein. Nach etwa 20 Metern gelange ich in ein kleines Gewölbe, in dem man sich kaum drehen kann. Von hier aus führt ein nur 40 x 40 Zentimeter kleiner Stollen nordwärts in Richtung Große Pyramide. Daneben gibt es einen zweiten, ebenso kleinen Stollen, der nach Osten in Richtung Sphinx abgeht. Die Stollen zu erkunden ist unmöglich. Chef-Ägyptologe Zahi Hawass schickte vor einigen Jahren einen kleinen Jungen hinein. Der blieb aber bald stecken und musste mit großer Mühe wieder herausgezogen werden.
Meine Einwände gegen Zahi Hawass‘ Thesen
Anhand von Keramik-Scherben, Knochenresten und der Anordnung der vier Steinsäulen auf der Felsenplatte, meint Zahi Hawass herausgefunden zu haben, dass es sich bei der Anlage um ein symbolisches Grab und eine heilige Verehrungsstätte des Totengottes Osiris handle. Der Mythologie zufolge wurde Osiris von seinem Bruder Seth ermordet und zerstückelt. Isis soll den Körper ihres Mannes wieder zusammengefügt und wiederbelebt haben. Seither gilt Osiris als Richter der Toten und Herrscher über die Unterwelt.
Hawass zufolge ließ Pharao Cheops seine Pyramide extra so nah am Osiris-Grab errichten, damit diese auf geheiligtem Grund und Boden zu stehen kam.
Einwand 1: Von einer heiligen Verehrungsstätte für einen Gott erwartet man einen Prunkbau ähnlich dem Taltempel bei der Sphinx und kein unscheinbares Erdloch.
Einwand 2: Im vermeintlichen Götter-Sarg wurden offenbar menschliche Überreste gefunden, was darauf hindeutet, dass der Ort als realer Bestattungsplatz diente.
Einwand 3: Zahi Hawass soll seine Thesen nie wissenschaftlich belegt haben, was bei den Ägyptologen bis heute zu großer Verunsicherung führt. Weitere Forschungen finden im Moment offenbar nicht statt.
Offene Fragen
Frage 1: Wurde im Osiris Grab tatsächlich Cheops beigesetzt, wie Herodot berichtet? Der Pharao lebte vor rund 4500 Jahren. Sein angebliches Grab ist aber im Minimum 500 Jahre älter.
Frage 2: Wie kam der mächtige Sarkophag auf die dritte Ebene hinunter?
Frage 3: Wie konnten 40 x 40 Zentimeter kleine Stollen in Richtung Pyramide und Sphinx aus dem Fels geschlagen werden, und dies ohne künstliche Beleuchtung und Belüftung?
Frage 4: Welchem Zweck dienten diese Stollen?
Frage 5: Wohin führt der Tunnel auf der zweiten Ebene?
Ich hoffe, bei einer weiteren Erkundung vor Ort einen Teil der offenen Fragen klären zu können. Leider muss ich wegen Corona derzeit aufs Reisen und Forschen verzichten.
Gregor Spörri hat einen spannenden Roman geschrieben zum Thema Riesen, Engel und Götter. Weitere Infos zum Buch
Zurück zu: Mystery-Recherchen